Wie man sich Applaus verdient

Man darf sich über die eigenen Leistungen freuen – auch wenn sie nicht den allerhöchsten Standards genügen. Mehr dazu im Wochenbrief.

Wie man sich Applaus verdient

Bei einem Spaziergang kam ich in den Sportferien an einem Eishockey-Feld vorbei. Zwei Teams spielten gerade gegeneinander. Man erkannte auf den ersten Blick, dass keine Profis am Werk waren. Wenn man Bilder von Matches aus dem Fernsehen im Kopf hat, wirkte das Treiben der Spieler recht unbeholfen.

Man sah deutlich, dass Eishockey offensichtlich ein schwieriges Spiel ist. Die Pässe kamen nicht immer genau dorthin, wo es für den abnehmenden Spieler ideal ist. Es entstand gelegentlich der Eindruck von Zufälligkeit, Überforderung, Hilflosigkeit,

Dann aber fiel ein Tor, und der Jubel der erfolgreichen Mannschaft entsprach ganz dem, was man von den Profis kennt. Die Pose des Torschützen, das Abklatschen mit den Kollegen, der Applaus von der Auswechselbank, all das wirkte plötzlich sehr professionell.

Darüber will ich mich nicht lustig machen, im Gegenteil, ich freute mich für die Mannschaft, die in Führung gegangen war.

Und ich wurde durch diese Beobachtung an Erfahrungen mit unserer schulischen Notengebung erinnert. Wenn man Lernenden eine 6 verteilt, tut man dies nicht, weil ihre Arbeit Kriterien entspricht, die absolut gelten. Es geht eher darum, die Lernenden an dem zu messen, was in ihren Möglichkeiten liegt – quasi ihrer Alterskategorie gemäss.

Man könnte sogar weiter gehen und fordern, dass die Notengebung immer nur die individuellen Fortschritte berücksichtigt. Dieser Gedanke ist in der Diskussion über Chancengerechtigkeit wieder aufgekeimt, weil wir alle wissen, dass die Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler unterschiedlich sind. Wer aus einem Elternhaus, in dem keine Bücher stehen und in dem eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird, ins Gymi kommt, hat vermutlich mehr erreicht als derjenige, welche von zu Hause aus immer schulisch gefördert worden ist.

Als ich im letzten Semester eine Sport-Lektion sah zum Thema Parkour, war ich hoch erfreut. Die Schülerinnen mussten Wege finden, auf möglichst elegante und originelle Art Hindernisse zu überwinden. Diejenigen, welche in ihrer Freizeit Geräteturnen betreiben, machten eindrückliche Übungen vor. Die anderen, welche weniger sportlich ausgebildet sind, fanden einfachere Wege, um sich cool zu bewegen. 

Nach den verschiedenen Vorführungen applaudierte jeweils der Rest der Klasse. Man freute sich an den Leistungen, die alle nach ihren Möglichkeiten erbracht hatten. Die gemeinsame Freude war gross – genau wie bei den erwähnten Hockey-Spielern, die mit grossen Gesten ein Tor bejubelten, das sie sich mühsam erarbeitet hatten.

In einem gewissen Sinne hatten sich alle die Bestnote verdient.

 

Martin Zimmermann, Rektor

 

Wochenbrief 19_08