Wie der Funke entfacht wurde

Die gesellschaftspolitische Themenwoche zum Thema Polarisierung liegt hinter uns – was habe ich daraus mitgenommen?

Jugendliche interessierten sich nicht für Politik, heisst es oft vorwurfsvoll. Wir gingen nicht abstimmen, würden uns nicht um die Demokratie kümmern, die es doch zu pflegen gilt. Aber stimmt das wirklich? Wenn ich an meine Schul-Bubble in der KUE denke, behaupte ich das Gegenteil. Wir Schüler:innen interessieren uns für Politik – und nach der gesellschaftspolitischen Themenwoche sogar noch mehr.

Das Ziel dieser Woche – organisiert und durchgeführt von den Fachschaften Geschichte und Wirtschaft und Recht, insbesondere von Karin Hunkeler, Danilo Raffaele und Iris Haas – war es, uns die Schönheit der Demokratie näherzubringen und die Lust zu wecken, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren. Und das ist gelungen: Am Ende der Woche, bei der Reflexion am Freitag, gingen alle Hände in die Luft, als gefragt wurde, wer sich jetzt mehr politisch engagieren möchte. Diese Woche hat politisch einiges in unseren Köpfen bewegt. Aber wie wurde dieser Funke entfacht?

Die Woche begann mit einem Input zum Thema politische Polarisierung. Ein unverzichtbarer Start, wenn man eine ganze Woche über dieses Thema sprechen möchte. Polarisierung bedeutet, dass die Positionen innerhalb einer Gesellschaft so weit auseinanderdriften, dass gegenseitiges Verständnis schwindet und ein gemeinsamer Konsens kaum noch möglich ist. Statt miteinander zu reden, feinden sich die Menschen an. Das grösste Problem dabei: Wenn niemand mehr zuhört, gibt es auch keine Diskussionen mehr, und genau davon lebt eine Demokratie. Der Dokumentarfilm «US-Wahlen 2024 – Wie Trump meine Swiss-American Family spaltet» aus der Reihe SRF-Reporter von Kathrin Winzenried

verdeutlichte uns, wie stark politische Meinungen sogar Familien spalten können. Anschliessend diskutierten wir in kleinen Gruppen, welchen Parteien wir uns selbst nahe fühlen, welche Eigenschaften wir mit bestimmten Parteien verbinden und welche Typen von Menschen welche Parteien wählen. Dabei wurde schnell klar, wie leicht man in stereotype Denkmuster verfällt. Das Schöne an der Schweizer Politik ist jedoch, dass man sich nicht starr einer Partei zuordnen muss. Bei jeder Abstimmung kann man sich unabhängig von der Parteizugehörigkeit neu entscheiden, welche Position einem am meisten zusagt.

Am Dienstag besuchte uns Frau Dr. Claudia Brühwiler, Professorin an der HSG. Sie analysierte die US-Wahlen differenziert und mit grossem Verständnis für beide Seiten. Dabei zeigte sie uns, was jede Seite gut gemacht hat. Ich war überrascht, denn zum ersten Mal konnte ich ein gewisses Verständnis dafür entwickeln, warum Menschen Trump gewählt haben. Mir wurde klar, dass mein Social-Media-Feed – der stark demokratisch und pro-Harris geprägt ist – Trump sehr einseitig dämonisiert. Dadurch habe ich erkannt, wie sehr Social Media meine eigene Wahrnehmung und Meinung polarisiert haben. Das bedeutet nicht, dass ich plötzlich pro-Trump geworden bin, aber ich konnte die Beweggründe seiner Wähler:innen besser nachvollziehen. Dieses Verständnis wurde am Nachmittag in den Modulen weiter vertieft, in denen wir uns mit den Ursachen des Trumpismus beschäftigt haben. Wir diskutierten den Einfluss des Evangelikalismus und die pragmatische Haltung «wahr ist, was funktioniert». Man könnte sagen, dass mich diese Diskussionen auf eine gewisse Weise «entpolarisiert» haben.

Mein besonderes Highlight fand am Mittwoch statt, als vier Politiker:innen miteinander debattierten: Hans-Peter Amrein, ehemaliger SVP-Kantonsrat, Dominique Zygmont, Präsident der FDP im Bezirk Meilen und Oetwil am See, Edith Häusler, Kantonsrätin der Grünen, und Hanspeter Göldi, Kantonsrat der SP.

Ich muss zugeben, dass ich vor dieser Live-Debatte dachte, Politiker:innen seien nicht unbedingt die Hellsten – ein Vorurteil, das stark von meinem Bild der US-Politik und meiner «For You»-Page geprägt wurde. Nach dieser Debatte musste ich jedoch meine Meinung revidieren. Die vier waren durchweg eloquent, klug und belesen. Vor allem beeindruckte mich, wie respektvoll sie miteinander umgingen, obwohl ihre Meinungen bei Themen wie der Initiative «Tschüss Gendersternchen», dem Ausbau der Nationalstrassen oder den AHV-Regelungen teilweise grundverschieden waren. Genau das zeigt die Stärke unserer Demokratie: dass wir respektvoll miteinander diskutieren und debattieren können, ohne uns gegenseitig zu hassen und trotzdem am Ende des Tages zusammen ein Bier trinken könnten. Beim Beobachten, mit wie viel Leidenschaft und Sachkenntnis die Politiker:innen ihre Argumente vorbrachten, bekam ich selbst Lust, leidenschaftlich mitzudiskutieren. Und ich war nicht die Einzige. Die Begeisterung war im ganzen Raum spürbar.

Wir hatten das Glück, während der Woche von weiteren inspirierenden Gästen zu lernen. Prof. Dr. Silja Häusermann, Expertin für Schweizer Politik und vergleichende politische Ökonomie (UZH), erklärte uns, dass die Schweiz genauso polarisiert sei wie die USA. Allerdings zeigte sie, dass unser Proporzsystem und das Konkordanzsystem die Auswirkungen solcher Polarisierungen abmildern. Anders als in den USA haben bei uns kleine politische Verschiebungen oft nur geringe oder gar keine sichtbaren Folgen, da die Verantwortung in der Schweiz breiter verteilt ist.

Am Donnerstag besuchte uns Herr Andreas Spillmann, der seine Vision eines Zukunftsrats präsentierte. Er plädierte für die Einführung einer dritten Kammer, die per Losverfahren besetzt und die Bevölkerung repräsentieren würde. So könnten Bürger:innen unabhängig von Alter, Ausbildung oder politischem Hintergrund mehr Mitsprache erhalten bei Themen, die die Gestaltung der Zukunft betreffen. Besonders interessant war seine Kritik an der derzeitigen Zusammensetzung der politischen Gremien, in denen nur ein Prozent der Mitglieder zwischen 18 und 29 Jahre alt ist, während 80 Prozent einen tertiären Bildungsabschluss haben und oft durch Lobbyarbeit beeinflusst werden. Sein Vorschlag regte spannende Diskussionen an.

Am Freitagmorgen bekamen wir schliesslich Besuch von Arthur Honegger, Moderator von 10 vor 10 und langjähriger Korrespondent in New York und Washington. Er sprach mit uns über die Demokratie, die US-Wahlen sowie den Einfluss sozialer und klassischer Medien auf die Meinungsbildung. Seine Erfahrungen und Beobachtungen aus den USA waren beeindruckend und boten einen spannenden Abschluss dieser inspirierenden Woche.

Besonders geschätzt habe ich, dass alle Vorträge von uns Maturand:innen moderiert wurden. Es war eine Ehre, die Chance zu bekommen, selbst aktiv mitzuwirken. Mir hat es grosse Freude gemacht, gemeinsam mit Viola Gebert das Gespräch mit Arthur Honegger vorzubereiten. Toll, dass uns die Schule so etwas zutraut – eine wirklich wertvolle Erfahrung!

Die Themenwoche hat nicht nur einen politischen Funken in uns entfacht, sondern uns auch einen Vorgeschmack auf das Leben an der Universität gegeben. Ehrlich gesagt, fiel es vielen von uns anfangs schwer, sich an das neue Format zu gewöhnen. Bei der ersten Vorlesung von Frau Brühwiler, die unglaublich spannend und voller Wissen war, hatten wir trotzdem Mühe, konzentriert zu bleiben. Wir sind es gewohnt, nach 45 Minuten eine Pause zu haben – eine 90-minütige Vorlesung war für unsere Aufmerksamkeit eine echte Herausforderung. Doch im Laufe der Woche merkten wir, wie wir uns immer besser auf längere Einheiten einlassen konnten.

Auch die Arbeit in den Modulen, bei der wir uns mit komplexer und umfangreicher Literatur auseinandersetzen mussten, war eine wertvolle Erfahrung. Es war anstrengend, aber genau das hat uns gezeigt, was an der Uni auf uns zukommt. Am Ende der Woche hatten wir nicht nur ein vertieftes politisches Verständnis, sondern auch eine bessere Vorbereitung auf die Anforderungen des Studiums – mit mehr Konzentrationsvermögen und einem neu entdeckten Interesse an politischen Themen.

Lara Oberholzer, 6e

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