In Büchern übers Lehren und Lernen findet man immer wieder die Unterscheidung von „intrinsisch“ und „extrinsisch“, wenn es um die Frage der Motivation geht: Wer aus eigenem Antrieb lernt, ist von innen heraus motiviert, wer von aussen geschubst werden muss oder einen Anreiz hat, der nichts mit der Sache zu tun hat – gute Noten oder die Anerkennung der Eltern etwa – ist extrinsisch motiviert. Dass das eine gut, das andere schlecht ist, wird dabei vorausgesetzt – so etwa auch in einem längeren Artikel vor eine Woche in der NZZ am Sonntag, wo der Bericht über eine neue Institution im Bildungsbereich (Intrinsic Campus) zum Anlass für einen berechtigten kritischen Blick auf das Bildungssystem genommen wurde (NZZ am Sonntag vom 17. Aug. 2019, von Anja Burri)
Die Kritik an einem System, in dem die Kinder bisweilen fremdgesteuert scheinen, ist berechtigt. Es lohnt sich, über die Fragen nachzudenken, was es braucht, dass Bildungs- und Lernprozesse in Gang kommen. Und selbstverständlich wünschen sich alle Lehrpersonen aller Stufen intrinsisch motivierte Schülerinnen und Schüler, die mit leuchtenden Augen und gespitzten Ohren dasitzen, Aufträge selbstständig planen, eigene Ideen einbringen und eigene Fragen hartnäckig verfolgen. Selbstverständlich sind solche Momente, die jeder, der unterrichtet, kennt, wunderbar: Nicht nur weil das Lehren dann mehr Freude bereitet, sondern auch weil es weniger anstrengend ist und weniger den schalen Beigeschmack hat, jemandem etwas verkaufen zu müssen, was er gar nicht will.
Aber ist die Unterscheidung wirklich so trennscharf zu machen? Eine Schülerin schrieb einmal in einem persönlichen Aufsatz, wie ihre Karriere als Läuferin in der fünften Primarschulklasse ein jähes Ende fand. Wie gerne war sie immer im Wald gelaufen! Es war ihr so gar nicht als hartes Training vorgekommen, und Jahr für Jahr hatte sie das Wettrennen als die beste Sprinterin gewonnen, sozusagen als schöner Nebeneffekt. „Rennen war meine Leidenschaft“, meinte sie, „bis Lotte ins Dorf zog, ein Mädchen aus Deutschland“. In diesem Jahr stand sie nicht mehr ganz oben auf dem Podest, sondern wurde nur noch Zweite. Und von da an gab sie das Rennen ganz auf. Von einem Tag auf den anderen. Was sagt uns das? Dass der Unterschied intrinsisch/extrinsisch vielleicht komplizierter ist, als es auf den ersten Blick scheint. Dass ein inneres Feuer sich von Orten nähren kann, die wir nicht kennen und die wir, würden wir sie benennen, uns als äusserlich erscheinen würden, wie in jenem berühmten Zitat von Erasmus von Rotterdam, dass der erste Schritt zum Lernen die Liebe zum Lehrer sei.
Oder umgekehrt: Wer kennt nicht die Erfahrung, dass Erfolgserlebnisse beflügeln. Lernt man zunächst vielleicht, um die Eltern zu beeindrucken, der Lehrperson zu gefallen oder aus Konkurrenz zum Kollegen, verselbständigen sich diese Erfolge zu einem Interesse. Dieses rührt daher, dass man plötzlich drauskommt, mitmachen kann und ein vertieftes Verständnis bekommt. Dann findet vielleicht etwas statt, was der deutsche Physiker Werner Heisenberg in seiner Autobiographie „Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik“ (1969) sehr schön beschrieben hat: «Gewöhnlich lässt der Schulunterricht die verschiedenen Landschaften der geistigen Welt ... vorbeiziehen, ohne dass wir in ihnen recht heimisch werden. Er beleuchtet sie ... je nach Fähigkeiten des Lehrers mit einem mehr oder weniger hellen Licht, und die Bilder haften längere oder kürzere Zeit in unserer Erinnerung. Aber in einigen seltenen Fällen fängt ein Gegenstand, der so ins Blickfeld getreten ist, plötzlich an, im eigenen Lichte zu leuchten... und schliesslich füllt das von ihm ausgestrahlte Licht einen immer grösseren Raum in unserem Denken, greift auf andere Gegenstände über und wird schliesslich zu einem wichtigen Teil unseres Lebens.»
Wir wünschen uns, dass für die Schülerinnen und Schüler der KUE, für jene, die neu begonnen haben, und jene, die schon alte Hasen sind, möglichst immer wieder mal ein Gegenstand zu leuchten beginnt, auf welchem Weg auch immer!
Jürg Berthold
Prorektor
PS Nur scheinbar anders habe ich über das Thema in einem früheren Wochenbrief (KW47) geschrieben
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