Vom Fremdeln und Freunde finden

Einander näherkommen ist gar nicht so einfach… Mehr dazu im aktuellen Wochenbrief!

 

Die erste Schulwoche liegt hinter uns, mit ihr unzählige erste Begegnungen – für die neuen Schülerinnen und Schüler der ersten und dritten Klassen, aber auch für ausserordentlich in die KUE eintretende Schüler:innen und natürlich für die Lehrer:innen der neuen Klassen.

Doch die Zeit des Kennenlernens beginnt erst. Das Zusammenfinden der Schüler:innen einer Klasse zu einer Gruppe, in der idealerweise alle sich gut aufgehoben fühlen, ist ein hoch komplexer sozialer Prozess, der sicher die nächsten Wochen – eher aber Monate – dauern wird und in den vor allem die Klassenlehrpersonen viel Energie investieren. Denn sie wissen aus ihrer pädagogischen und didaktischen Ausbildung: Die Entstehung einer sogenannten Klassengemeinschaft ist Voraussetzung für ein gutes Lernklima und dieses gilt als Grundbedingung für funktionierende Lernprozesse. Ziel ist das Zusammenwachsen zu einer Lerngruppe, in der niemand ausgeschlossen wird, in der jeder mit jedem sprechen, arbeiten, nachdenken kann.

Ob die Bemühungen der Lehrpersonen Erfolg haben, hängt nicht nur von der Geduld, sondern von vielen weiteren Faktoren ab, vor allem von der Bereitschaft der Lernenden selbst, sich für die neuen Menschen in ihrer Umgebung zu interessieren, sich offen zu zeigen und auf die neuen Klassenkamerad:innen zuzugehen. Gerade das Letztere ist nicht so einfach in einem Alter, in dem man stark von Anxiety beeinflusst ist. Im Film «Inside out 2», in dem zunächst die Gefühle Freude, Kummer, Wut, Angst und Ekel das Mädchen Riley steuern, übernimmt mit dem Heranwachsen der Hauptfigur Anxiety die Kontrolle, ein kleines, unruhiges oranges Wesen. Anxiety beeinflusst Riley zum Beispiel, als sie Teil eines neuen Hockey-Teams werden will: Rileys Unsicherheit lässt sie Sätze sagen, die sie nicht sagen will, und führt so weit, dass sie nicht einmal mehr weiss, wo sie beim Laufen ihre Hände hintun soll.

Anxiety ist bei uns allen mit im Spiel, wenn wir in einer neuen Situation sind. Dennoch funktionieren das Kennenlernen und das Einander-Näherkommen in den Klassen meist gut. Und oft geht die Annäherung noch viel weiter: In der Schule, vor allem in der weiterführenden Schule, bilden sich viele Freundschaften, die auch im Erwachsenenalter noch Bestand haben.

Als ich 15 war, musste ich wegen des Umzugs meiner Familie in eine andere Stadt die Schule wechseln. In meiner Erinnerung bestimmte ein oranger Wirbel aus Anxiety in den ersten Tagen an der Schule mein Dasein: Mit dem Mädchen, das sich auf Befehl des Klassenlehrers um mich kümmern sollte, fand ich kein gemeinsames Gesprächsthema, in den Pausen verzog ich mich aufs Klo, um nicht allein herumstehen zu müssen, nach der Schule hing ich zu Hause am Telefon und quatschte so lange mit meinen Kolleginnen aus der alten Schule, dass meine Eltern ein zweites Telefon anschafften, damit sie noch erreichbar waren. Ich fand alles in der neuen Schule grauenvoll und schaute vor lauter Anxiety so arrogant drein, dass es ein Wunder war, dass mich dennoch zwei Mädchen aus der neuen Klasse einluden, mit ihnen ins Kino zu gehen. Wir wurden Freundinnen und blieben es – bis heute.

Ich wünsche uns allen Geduld und grösstmögliche Lockerheit für die Kennenlernphase!

Eugenie Bopp

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