Traditionen aufbauen. Traditionen brechen.

Es ist nicht so einfach, Traditionen aufzubauen. Und mit Traditionen zu brechen ist noch schwieriger. Mehr dazu im aktuellen Wochenbrief.

Letzten Freitag haben die Maturandinnen und Maturanden den Deutschaufsatz geschrieben, diese Wochen legen sie die restlichen schriftlichen Prüfungen, in Mathematik, in Französisch, im Schwerpunktfach und wahlweise in Geografie oder Geschichte ab. Ende Juni sind dann die mündlichen Prüfungen an der Reihe, und am 6. Juli können die beiden Klassen mit den 44 ersten KUE-Maturandinnen und Maturanden hoffentlich alle ihre Maturzeugnisse entgegennehmen. Die KUE wird damit volljährig geworden sein. Die Kinderkrankheiten sind auskuriert, die junge Schule hat alle Lebenszyklen eines Gymnasiums einmal durchschritten.

Wie während des ganzen Aufbauprozesses stellen sich auch im Zusammenhang mit der Matur viele Fragen. Da gibt es organisatorische Aspekte zu berücksichtigen: Wie sind die Prozesse im Hintergrund aufzusetzen, dass alles reibungslos und fehlerfrei abläuft und an der Feier die geprägten kantonalen Zeugnisse mit den richtigen Noten verteilt werden können? – Da gibt es pädagogische Fragen: Welche Form von Prüfung wollen wir an der KUE? Was ist vorgegeben durch die Reglemente, wo gibt es Spielräume? Wie können wir als BYOD-Schule die Matur als Open-Book-Prüfung, also mit vollem Zugang zum Internet, durchführen, wie es sich die Klassen von vielen Prüfungen der letzten Jahre gewohnt sind? Was heisst dies für mögliche Formen der Unredlichkeit, etwa im Zusammenhang mit dem Maturaufsatz? Und was für den Umgang mit vorhandenen Werkzeugen, etwa den Übersetzungstools wie DeepL in den Fremdsprachen? – Da stellen sich auch Fragen zur Schulkultur, zu Stil- und Traditionsbildung: Wo findet die Maturfeier statt, wie wollen wir sie gestalten? Wer spricht? Welche Art von Musik soll gespielt werden, von wem? Wer überreicht die Maturzeugnisse, in welchem Rahmen?

Bei all dem – von den organisatorischen Details bis zu Fragen, wie die KUE-Kultur aussehen soll – ist der zentrale Punkt für uns: Wo haben sich Traditionen bewährt, wo wollen wir mit ihnen brechen? So haben wir auch für den letzten Schultag der Maturandinnen und Maturanden am letzten Mittwoch eine Form zu finden versucht, hinter der wir stehen können und die unserem Leitbild entspricht. Der gemeinsame Brunch, der Spalierlauf durch die applaudierende und Glück wünschende Schüler- und Lehrerschaft der ganzen Schule, das Konzert der Band, die Challenges für die Lehrpersonen: Das alles war der Versuch, mit einer Tradition zu brechen, die an anderen Kantonsschulen vorherrscht und die bei aller berechtigten Ausgelassenheit jedes Jahr immer wieder kippt und ausartet: in Zerstörung mit grossen Sachschäden, in Demütigungen, Verletzungen und Beleidigungen, in Unfälle und Straftaten. Am letzten Mittwoch gab es viele berührende Momente, es lag Freude in der Luft, auch lachen konnte man. Es war ein Anfang, immerhin. Dem Jahrgang und uns ist es aber noch nicht gelungen, eine ganz stimmige Form zu finden: Das Fest hätte wilder, ausgelassener, origineller sein können… Und einiges hätte es nicht gebraucht. Es ist halt gar nicht so einfach, von einer Tradition loszukommen – nicht zuletzt deshalb, weil viele der Beteiligten, auch die Jüngeren, über Erzählungen und spezielle Instagram-Accounts eine Erwartungshaltung aufgebaut haben und bereits der Ausdruck «Maturstreich» aus einer Zeit stammt, wo die Lehrer noch Schulmeister waren. Es war ein Anfang, nächstes Jahr nehmen wir einen neuen Anlauf.

Am Freitagabend findet zum zweiten Mal der Berufs- und Studienwahlabend statt. Die KUE-Elternvereinigung IGEL organisiert ihn mit uns zusammen unter dem Namen Out of the Box. Die Schüler:innen der 5. Klassen haben Gelegenheit, sich mit Studierenden unterschiedlichster Richtungen und mit Leuten aus der Berufswelt über gerade und verschlungene Lebenswege auszutauschen. Damit beginnt für den zweiten KUE-Jahrgang der letzte Abschnitt auf dem Weg zur Matur. Sie werden neue Gefässe mit neuen Lehrpersonen haben, auf Studienreisen gehen, die Maturarbeit abschliessen und präsentieren. Und ganz nebenbei wird es auch ihre Aufgabe sein, mit uns zusammen eine Form und einen Namen für den letzten Schultag zu finden.

 

 

Jürg Berthold

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