Per Tandem über den Röstigraben

Mit Schüler:innen aus der Westschweiz ins Gespräch kommen, digital – und in Präsenz. Gedanken dazu im aktuellen Wochenbrief.

Am 2. März hat die 4b aus der KUE einen Ausflug nach Fribourg gemacht und dort die Matura-Klasse aus dem Gymnase cantonal de Nyon getroffen, mit der sie letztes Frühjahr ein deutsch-/französischsprachiges Online-Tandem-Projekt durchgeführt hat. Der Treffpunkt war natürlich symbolisch aufgeladen – auf halber Strecke zwischen Uetikon und Nyon, an einem genuin zweisprachigen Ort (wenngleich weniger als gedacht…) –, und auch sonst war der Tag ein wenig das Saane-Häubchen eines in vielerlei Hinsicht denkwürdigen Unterfangens. 

Was aber ist das eigentlich, ein ‘Online-Tandem’? Die kurze Antwort lautet: Es ist die digitale Variante des klassischen Sprachtandems. Digital, weil die Tandem-Partner:innen nicht in Präsenz miteinander reden, sondern über Teams (oder eine ähnliche digitale Plattform). Gerade in einem schulischen Kontext ergeben sich dadurch ganz andere Zeithorizonte als beim klassischen Modell: In unserem Fall etwa dauerte das Projekt nahezu ein Semester, mit einer Sitzung (im Rahmen einer Einzellektion) alle zwei bis drei Wochen. Von diesem Punkt einmal abgesehen, sind die Grundprinzipien in beiden Varianten jedoch dieselben: 

1. Moitié-moitié  

In jeder Sitzung tauschen sich beide Partner:innen die eine Hälfte der Zeit in der einen Sprache aus, und danach in der anderen. Im Vergleich zum üblichen Unterricht in der Klasse trägt dieses egalitäre Setting entscheidend zum Abbau der nur allzu gut nachvollziehbaren Hemmung bei, sich in einer Sprache auszudrücken, in der man sich nicht gerade zu Hause fühlt.  

2. Autonomie  

Dieses zweite Prinzip kommt auf drei Ebenen zum Tragen. Zunächst in punkto Gesprächsverlauf. So erhalten die Tandem-Partner:innen zu Beginn jeder Sitzung zwar thematische Arbeitsblätter (grosser Dank ans Deutsch-Französische Jugendwerk für die wertvolle Vorarbeit). Diese sind jedoch vor allem als Anschubhilfe gedacht. Wie sich das Gespräch entwickelt – weg von den Arbeitsblättern oder in enger Anlehnung daran –, steht den Tandem-Partner:innen frei. Auch die Lernziele legen diese selbständig fest, jede:r für sich und im Vorfeld des eigentlichen Gesprächs: «Was nehme ich mir heute vor? Will ich mir fünf neue Wendungen einprägen, oder mein Gegenüber bitten, ein wenig genauer darauf zu achten, wie ich mich bei einem bestimmten Grammatikpunkt durchschlage?» Die letzte Frage deutet bereits an, dass auch das Korrigieren in den Händen der Tandem-Partner:innen liegt: Jeweils ad hoc, oder gebündelt auf halber Strecke? Auf jeden Fall aus der eigenen Praxis heraus, mit einem Minimum an metasprachlichem Ballast. 

Und die Lehrpersonen drehen derweil Däumchen? Ganz und gar nicht. Als Berater:innen haben sie alle Hände voll zu tun, etwa wenn die Schüler:innen zwischendurch mit ihrem Latein bzw. Deutsch/Französisch am Ende sind («Nehmt eure Hände zu Hilfe, zeichnet etwas, weicht in den Chat aus oder greift punktuell auf eine gemeinsame Drittsprache zurück») und wenn sich die Technik querlegt (ja, auch das soll es geben). 

Ansonsten aber ist jedes Tandem meinem Verständnis nach ein safe space, in dem die Schüler:innen neben ihren sprachlichen Fertigkeiten auch soziale und interkulturelle trainieren. Oder vielleicht sollte man die Perspektive besser umkehren: Indem sich die Schüler:innen auf ein gleichaltriges Gegenüber jenseits des vielbeschworenen Röstigrabens einlassen, ein Gespür für feine binnenschweizerische Unterschiede entwickeln und zugleich übergreifende Interessen entdecken, machen sie sozusagen en passant auch Fortschritte in einer Sprache, die den allermeisten im Unterricht oft recht fremd erscheinen muss – auch wenn sich die Lehrpersonen noch so sehr darum bemühen, lebensechte Gesprächssituationen zu simulieren. Anders als das Englische ist das Französische nun einmal nicht immer schon im Alltag der Schüler:innen verankert. Und so führt das Projekt idealerweise etwa dazu, dass die Tandem-Partner:innen in der ersten Sitzung auf englischsprachige Musik, Computerspiele und Serien zu sprechen kommen, für die sie eine gemeinsame Vorliebe haben – in späteren Sitzungen dann aber Tipps aus dem eigenen Sprachraum einstreuen und sich so gegenseitig auf den Geschmack bringen. L’appétit vient en mangeant. 

Dass der Appetit überm Essen kommt, belegt das Online-Tandem-Projekt auch noch in anderer Hinsicht. Letzte Woche hat die zweite ‘Staffel’ mit meiner aktuellen dritten Klasse begonnen, und ab dem nächsten Schuljahr werden, nicht zuletzt dank der Unterstützung durch den kantonalen Innovationsfonds des Digital Learning Hub Sek II, weitere Französisch-Lehrpersonen aus der KUE dazustossen und eigene Teilprojekte lancieren. On y go! 

Georges Felten 

WB_23_11 

P.S. Grosser Dank an Christian Elben und Chiara Mazzoleni, die beiden Lehrpersonen aus Nyon, die gleich mit Feuer und Flamme dabei waren.