Organisierte Energie

Wenn sich der Ballon endlich gefüllt hat, ist es wie eine Erlösung: Es kann weitergehen. Was weitergeht, lesen Sie im aktuellen Wochenbrief!

Nein, der sich füllende Ballon ist kein Bild für die Schulzeit, auch wenn sie sich bisweilen so anfühlen und man den befreienden Schluss sehnsüchtig erwarten mag. Bei der beschriebenen Szene handelt sich um eine Sequenz aus dem mittlerweile zum Klassiker gewordenen Kunstfilm „Der Lauf der Dinge“ (1987). Das Schweizer Künstlerpaar Peter Fischli und David Weiss hat in einem wie ein riesiges Labor anmutenden Setting eine Art Kettenreaktion inszeniert, bei der sich eine Bewegung auf bisweilen skurrile Art und Weise fortpflanzt: Da spielt die Schwerkraft, da brodelt, zischt und funkt es, da rollen Reifen und Ballone werden auf alle möglichen Arten zum Platzen gebracht: Hauptsache, die Bewegung pflanzt sich fort!

Jetzt, Anfang Dezember, findet wieder die Winterthemenwoche statt. Es ist die unspektakulärste der vier Wochen, die das Schuljahr rhythmisieren, jedenfalls organisatorisch die Niederschwelligste. Die Schülerinnen und Schüler gehen nicht weg, der Unterricht findet weitgehend in den Klassen statt. Auf den ersten Blick Schule wie üblich. Das Besondere besteht darin, dass die Lehrpersonen die Themen ihres Faches für einige Lektionen unter einem bestimmten Blickwinkel anschauen. Letztes Jahr war es “Licht“. Es war interessant mitzuverfolgen, was da alles gemacht wurde – bis hin zu einem Nacht-OL, den die Fachschaft Sport durchgeführt hat. Dieses Jahr steht der auf diskrete Weise überfachliche Unterricht unter dem Stichwort „Rhythmus“, und wir sind sehr gespannt, was sich da für Ideen zeigen werden.

Wahrscheinlich denkt man zunächst an Rhythmus als musikalisches Phänomen, an Füsse, die im Takt wippen, skandierende Fans oder – ganz im Stillen – Gedichtzeilen, die auch über ihren sprachlichen Rhythmus wirken. Der amerikanische Philosoph John Dewey (1859-1952) legt in seinem Standardwerk „Art as Experience“ dar, dass es sich bei Rhythmus um ein viel weiteres Phänomen handelt. Wenn ich davon spreche, dass unsere vier Themenwochen das Schuljahr rhythmisieren, dann ist das, so Dewey, nicht eine übertragene Redeweise, so als ob der musikalische Rhythmus die Urform und alles andere nur abgeleitet wäre. Die „in sich gegliederte zeitliche Verlaufsform von Vorgängen“ sei „organisierte Energie“. So sprechen wir auch von Rhythmus bei einer Fassade oder einer Unterrichtslektion, von biologischen Rhythmen, etwa im Zusammenhang mit der Inneren Uhr, oder ganz generell bei allen Phänomenen, die sich in Zyklen vollziehen und periodisch wiederkehren.

Was mich betrifft, so werde ich mit meiner 4. Klasse den Film von Fischli/Weiss anschauen, und wir werden Texte dazu schreiben. Ich bin neugierig, wie die Schülerinnen und Schüler reagieren werden und wie sich die Bewegung des Films in die Schreibbewegungen fortsetzen wird. Auf solche und viele andere Momente dürfen wir gespannt sein.

Jürg Berthold

PS Im Büro von Rektor Zimmermann hängt übrigens „How to Work Better“, auch eine Arbeit des erwähnten Künstlerduos. Sie findet sich auch an einem Bürogebäude, das man in Oerlikon vom Zug aus sehen kann. Bei der Liste von zehn simplen Sätzen handelt es sich um eine listige Mischung aus Ratschlägen und Parodie auf Ratschläge. Der sechste Satz lautet: „Accept change as inevitable.“

 

Wochenbrief 19_49