Als Schulleitung haben wir vor zwei Wochen, am Sonntag vor Semesterbeginn, auf die aktuelle Lage reagiert. Wir wollten die Schüler:innen und die Lehrpersonen ermutigen, dem Thema im Unterricht Raum zu geben, auch wenn die eigene Betroffenheit und die aufgrund der Tagesaktualität fehlende Distanz die Einordnung erschweren mögen. Deshalb haben wir allen an der KUE unter anderem Folgendes geschrieben: «Als Schule können wir keinen Einfluss auf die Entscheide der Zuständigen nehmen. Wir haben aber die Aufgabe, Informationen zu sammeln, zu ordnen und zu bewerten. (…) Wir stellen uns eine Schulgemeinschaft vor, die nicht gleichgültig bleibt, wenn der Friede gefährdet ist. Deshalb ist es gut, wenn im Unterricht auch die aktuelle weltpolitische Lage ein Thema sein darf. Das tun wir, indem wir unseren Fragen Raum geben und das Wissen nützen, das an einer Schule vorhanden ist.» Unvergessen, eine Studentin, die mir einmal erzählte, nein, bei ihnen sei 9/11 zu keinem Moment im Unterricht zur Sprache gekommen – und das, obwohl sie 2002 die Matur gemacht hatte! Wer an der KUE zur Schule geht, soll im Rückblick sagen können: Die Themen der Gegenwart und was mich bewegte, haben Raum bekommen.
In der Schülerschaft ist die Betroffenheit über den Krieg in der Ukraine gross, auch wenn wie bei uns Erwachsenen Ratlosigkeit dominiert. In manchen Lektionen war das Thema, wie ich gesehen und gehört habe, auf die eine oder andere Art präsent. Mich zum Beispiel fragte eine Maturklasse nach dem Lebensgefühl während des Kalten Krieges. Sie wollten erfahren, wie sich ein abstraktes Konzept wie «Gleichgewicht des Schreckens» im Alltag der 1980er-Jahre anfühlte. Eigentlich war Kafka geplant gewesen… ein Autor, der mir wie kaum ein anderer auch jenseits von Lehrplanverpflichtungen oder Kanonüberlegungen am Herzen liegt! Aber wäre es nicht absurd, das eine gegen das andere auszuspielen – gerade bei Texten, in denen unfassbare Bilder für das Unfassbare zu finden sind?
Der Alltag in der Parallelität der täglichen Anforderungen und dem Wissen um Krieg und Flucht ist irritierend. Gleichzeitig haben seine Strukturen etwas Beruhigendes; das ist für die Lehrpersonen nicht anders als für die Schülerinnen und Schüler. So gab es in den letzten 14 Tagen immer wieder Situationen, in denen der Krieg verblasste – etwa für die rund 250 Jugendlichen, die letzte Woche die Aufnahmeprüfung abgelegt haben und trotz der ganzen Schwere der Situation absolut fokussiert sein mussten. Oder für die BG-Schüler:innen, deren im vergangenen Jahr entstandenen künstlerischen Arbeiten an der Vernissage vom vergangenen Montag allen Interessierten präsentiert wurden, berührende Werke zum Thema «Nacht», die vor allem durch ihre Ernsthaftigkeit und die Breite der Herangehensweisen, Materialien und Techniken faszinierten! Ich empfehle allen den Besuch der Ausstellung im 2. Stockwerk von Haus A.
Zum zweiten Mal in kurzer Zeit erleben wir, was wir eigentlich wissen: dass unser Leben in Zusammenhänge eingebettet ist und von Dingen abhängt, über die wir nicht verfügen können. Das muss uns aber nicht lähmen, wir können auch etwas tun, im Kleinen oder im Grossen. So hat letzte Woche auch das Projekt «KUE-Gives-Back» begonnen, bei dem sich die Schülerinnen und Schüler der 3. Klassen während eines Semesters sozial engagieren. Wir sind gespannt, welche Betätigungsfelder sie in diesem Jahr wählen.
Jürg Berthold
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PS Hier sind die KUE-Gives-Back-Projekte des letzten Jahres dokumentiert.