Die KUE hat eine eigene Sporthalle, eine schlichte, aber sehr ästhetische Holzkonstruktion mit einer Fassade, die den provisorischen Charakter unterstreicht. Im Eiltempo wurde sie innerhalb weniger Monate fertiggestellt. Das Gebäude fasst den Hof ein und dient gleichzeitig als Sicht- und Lärmschutz für unsere Nachbarn. Der Sportunterricht kann schon diese Woche beginnen, wir freuen uns sehr. Wie und wann wir sie der Öffentlichkeit zeigen wollen, sind wir am Überlegen. Hier soll es nur um einen Teilaspekt gehen, die integrierte Kunst.
Dieses Bild – hier ein Ausschnitt, tatsächlich ist es 6 mal 3 Meter gross – ist Teil der neuen Sporthalle. Es wurde zusammen mit vier anderen in den Gängen, im Umkleide- und Duschbereich, in den letzten Wochen auf die Holzverkleidung geplottet. Nur eine der sechs Arbeiten ist anders und von aussen zu sehen oder zumindest zu erahnen: Es handelt sich um die Textfragmente auf dem Bullauge zum Schulhausplatz, Sätze aus dem Theaterstück «Frühlings Erwachen» von Franz Wedekind. Das Ensemble der Positionen von unterschiedlichen jungen Künstlerinnen ist die «Kunst am Bau», wie sie bei öffentlichen Bauprojekten vorgeschrieben ist. Bei den Schulhäusern A und B (und neu dann auch beim Haus C) ist es die Musterung der Aussenhaut, eine Arbeit von Vreni Spieser.
Beim Wettbewerb zeigte die kantonale Kommission Mut: Zum einen, weil sie für die zeitlich limitierte Intervention im Rahmen des Provisoriums explizit ZHdK-Studierende zum Wettbewerb eingeladen hatte. Zum anderen, weil sie sich für eine kollaboratives Konzept entschied: Die beiden Künstlerinnen, Julia Nusser und Tereza Glazova, fungierten nicht nur mit einem eigenen Beitrag, sondern wirkten auch als Kuratorinnen, indem sie andere junge Schweizer Künstlerinnen einluden. Insgesamt will das Duo mit den Arbeiten «einen ‘Safe Space’ mit ‘ Community-Charakter’ kuratieren», wie es im Jurybericht heisst. In Sporthallen steht der menschliche Körper im Zentrum, es ist ein «körperbetonter Ort». Selten explizit aber mit den durch die Arbeiten angesprochenen zeitgeistigen Themen wie Identität, toxische Maskulinität, Verletzbarkeit, Sexualität, Intimität. Offenbar wurde, auch das geht aus dem Jurybericht hervor, über keinen der Beiträge so intensiv diskutiert. «Vom Schmuck zum profilierten Werk» lautet der Titel einer kleinen Geschichte zu Kunst und Bau in der Stadt Zürich aus dem Jahr 2014. Bei den Arbeiten in der Sporthalle handelt es sich unmissverständlich um profilierte Interventionen und nicht um gefälligen Schmuck. Die Werke sollen uns mit den Fragen, die sie aufwerfen, herausfordern und uns zu denken geben.
«Picked last in Gym Class» steht auf dem übergrossen Shirt der zentralen Figur, offenbar eines Avatars, der in ein Computerspiel hineinmanipuliert wurde. Die grossstädtische Umgebung mit den flimmernden Werbeflächen erinnert an einen Ort wie den New Yorker Times Square. Auf den Screens sind Sprüche zu lesen, die Aussagen über die Schule machen, etwa: «College does not lead to useless monkey jobs.» oder «School is good for emotional well-being» – Sätze, die wir Lehrpersonen (und Eltern) wohl alle schon so oder ähnlich geäussert haben. Indem diese Sätze als Werbesprüche aufscheinen, werden sie fragwürdig. Wozu soll uns diese Werbung verführen? Gibt es nicht viele mit sehr guter Ausbildung, für die für die Gesellschaft keine angemessenen Jobs bereithält? Führt Schule nicht oft zu Leid und nicht zu «emotional wellbeing»? Auch wenn das Auswahlverfahren beim Bilden von Sportteams heute nicht mehr so funktioniert, wie das auf dem Shirt steht (und viele in meinem Alter das in jeder «Turnstunde» erlebt haben), sind in unseren Köpfen noch viele der alten Klischees, was Schule betrifft. Was wir beim Auswahlverfahren, auf das das Shirt anspielt, erkennen, erkennen wir vielleicht (noch) nicht bei den anderen Sprüchen.
Eine Sporthalle ist kein Art Space, das ist klar. Trotzdem laden wir alle ein, sich auf die Werke einzulassen und sich mit den Themen, die sie ins Bild setzen, auseinanderzusetzen. Nicht nur im Sportunterricht sind Themen rund um Körperlichkeit und Fragilität unserer Existenz wichtig. Dafür gilt es Bilder und Worte zu finden.
Jürg Berthold
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