Klempnerarbeit

Klempnerarbeit als Modell? Mehr dazu und gute Wünsche für die Sommerferien im letzten Wochenbrief dieses Schuljahres!

Neulich habe ich ein Interview mit der Armutsforscherin Esther Duflo vom Massachusetts Institute of Technology gelesen (NZZ vom 22. Juni). Zusammen mit ihrem Ehemann und Forscherkollegen Abhijit Banerjee wurde die 49-jährige Ökonomin 2019 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet für ihre mikroökonomische Feldforschung zur Frage, welche entwicklungspolitischen Massnahmen zum Erfolg führen. In dem beeindruckenden Interview gab es zwei Passagen, an denen ich hängengeblieben bin – aus unterschiedlichen Gründen, beide haben mit Schule zu tun.

Auf die Frage, auf welches Feldexperiment sie besonders stolz sei, beschreibt Duflo ihr Bildungsprojekt: «Wir konnten herausfinden, weshalb Kinder in Entwicklungsländern oft nichts lernen, obwohl sie die Schule regelmässig besuchen und viel Geld ausgegeben wird. Es lag nicht an faulen Lehrern oder fehlenden Lehrmitteln. Vielmehr sind die Lehrer einem Lehrplan gefolgt, der nicht auf die Kinder abgestimmt war. Oft konnten nur zwei Kinder einer grossen Klasse überhaupt folgen. Man muss die Kinder stattdessen dort abholen, wo sie stehen, und sie nicht etwas lernen lassen, wozu sie nicht reif sind. Speziell auf die Schüler abgestimmte Programme erreichen mittlerweile in Indien viele Millionen Kinder.» Diese eigentlich triviale Beobachtung könnte uns auch für unser Schulsystem stutzig machen. Die Lehrpläne sind, so meine Feststellung, oft nach einer Fachlogik entwickelt, und zwar mit Blick auf oft sehr konkrete Vorgaben hinsichtlich der Studierfähigkeit. Lehrpläne konsequent von den Jugendlichen her zu denken könnte nahelegen, die Akzente anders zu setzen. Das könnte heissen: von Konkretem ausgehen, nicht von der Grundlage zur Anwendung, sondern umgekehrt verfahren, das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit und Einbettung des Stoffes ernster nehmen. Sicher, man kann das dem didaktischen Geschick der einzelnen Lehrkraft überlassen. Aber nachhaltiger wäre es, schon auf der Ebene der Lehrpläne die Perspektive jener einzunehmen, um die es geht.

Der zweiter Punkt betrifft eine Nebenbemerkung von Duflo: Sie glaube nicht an grosse Würfe, sondern setze auf die Wirkung kleinster Eingriffe und schrittweiser Anpassungen. Klempnerarbeit ist das Bild, das sie braucht für diese Art von gezielten Massnahmen. – Auch das kann uns hellhörig machen: Im Zusammenhang mit der aktuellen Maturitätsanerkennungsreform (WEGM) ist viel Enttäuschung zu spüren und man ist sich einig, dass es sich um eine verpasste Chance handelt. Der Entwurf, in welcher Form auch immer er umgesetzt werden wird, legt die Ausrichtung der Gymnasien auf weitere Jahrzehnte fest. Folgt man dem Gedanken von Duflo, kann man damit leben – solange man offen bleibt für die Klempnerarbeit am System. Und woher kommt die Motivation dazu? Auch hier kann man von Duflo lernen: indem man neugierig bleibt und weiter forscht, was es braucht, damit die Jugendlichen lernen.

Nachdem das Semester notenmässig abgeschlossen ist, die Maturfeier letzten Mittwoch erfolgreich über die Bühne gegangen ist, nachdem die zweiten Klassen das Ende ihrer Untergymizeit mit einer Reise abgeschlossen und die anderen Klassen die Sommerthemenwoche je nach Stufe unterschiedlich gestalteten und nachdem am Donnerstag das KUE-Geburtstagsfest in der Badi Meilen stattgefunden hat und am Freitag die Zeugnisse verteilt sind… haben alle eine lange, lange Sommerpause verdient!

Ich wünsche allen einen «sehr grossen Sommer», wie es in einem Gedicht von Rainer Maria Rilke heisst (der das 1902 noch schreiben konnte, ohne an die Klimakatastrophe zu denken). Gute Erholung, wo und wie auch immer – und schon jetzt einen herzlichen Empfang im neuen Schuljahr!

Jürg Berthold

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