… Gold im Mund

Welches ist der ideale Zeitpunkt, um am Morgen mit dem Unterricht zu beginnen? – Überlegungen zu einer auch politisch aktuellen Frage im Wochenbrief.

«Ein moderner Kinderpsychologe fordert deshalb die Verlegung des Schulbeginns auf neun Uhr. Die Langschläfer sind, trotz Fleiss und Ehrgeiz, in den zeitigen Morgenstunden arbeitsunfähig. Testprüfungen haben das ergeben.» Diese Sätze zum Unterrichtsbeginn stammen nicht aus der aktuellen Diskussion um die Uetikoner Sekundarschule. Sie finden sich in Erich Kästners Roman «Der Gang vor die Hunde». Das Buch ist 1931 erschienen, was die Hartnäckigkeit des Themas zeigt. Aber nicht nur die Sekundarschule, sondern auch wir an der KUE machen uns Gedanken, wann der Tag für die Schüler:innen beginnen soll.

Heute herrscht (im Gegensatz zu den 1930er-Jahren) Einigkeit, dass moralische Sprüche wie «Morgenstund’ hat Gold im Mund» ausgedient haben. Zuviel weiss man über Schlaf- und Wachrhythmen von Jugendlichen; es ist kein Zufall, dass auch Kästner auf die Wissenschaft verweist. Insofern ist die Sache klar. Die Schwierigkeiten fangen an, wenn man nach konkreten Lösungen sucht. Beginnt man jeden Morgen eine Lektion später, muss man vier bis fünf Lektionen unterbringen. Folgende Möglichkeiten liegen auf der Hand: 1. Man endet am Nachmittag jeweils eine Lektion später. Das liesse sich noch radikalisieren: Man bespielt das Schulhaus in zwei Schichten, mit einer Früh- und einer Spätschicht. Ältere Schüler:innen wären öfters bis in die frühen Abendstunden an der Schule. 2. Man streicht den freien Nachmittag. 3. Der Samstagvormittag wird wieder zum Unterrichtshalbtag, wie das bis vor etwas mehr als 20 Jahren an den Gymnasien noch üblich war. 4. Man ändert die gesetzlichen Vorgaben und verzichtet auf die Lektionen.

All diese Varianten stossen auf Widerstände, je nach Variante bei der Schülerschaft, den Eltern, den Bildungsbehörden, den Lehrpersonen oder bei allen zusammen. Es geht um Sport und Musik am späteren Nachmittag, um Hobbys am freien Nachmittag, um entspannte Freitagabende in den Familien und um die Wochenenden.

Genau deshalb entzündet sich die Diskussion immer wieder von neuem: Man sieht – da das frühe Aufstehen nicht mehr Zeichen moralischer Überlegenheit ist –  die Vor- und Nachteile, und man nimmt dann den früheren Beginn als das kleinere Übel in Kauf. Zudem wird, hier allerdings nicht frei von Moral, oft mit dem Vergleich zur Situation der gleichaltrigen Jugendlichen in der Berufswelt argumentiert: Wer eine Lehre mache, könne auch nicht ausschlafen.

Eine andere Art, das Problem anzugehen, ist weniger offensichtlich. Vielleicht muss man den Stundenplan ganz grundsätzlich relativieren und stellenweise aufheben. Wir versuchen das an der KUE mit den sogenannten POOL-Lektionen: Schüler:innen arbeiten, allein oder in Gruppen, an grösseren Projekten, können die Zeit selbständig einteilen, treffen sich mit der betreuenden Lehrperson zu Standort- und Coachinggesprächen und haben vor allem die Zwischen- und Endabgaben einzuhalten. Das hat sich im Umgang mit anderen Lehr- und Lernformen bewährt. Verbindet man diesen Ansatz mit der Diskussion um den Schulbeginn, hiesse das: Man hebt in den frühen Morgenlektionen die Anwesenheitspflicht weitgehend auf und integriert die dortigen Aufträge in einen Pool von Projektaufträgen. Die Schüler:innen können dann daran arbeiten, wann sie wollen – zum Beispiel spät in der Nacht. Aber auch bei diesem Vorgehen bleibt der oben beschriebene Zusammenhang bestehen: Wenn man länger ausschläft, muss man die Zeit irgendwo anders wieder reinholen.

Die Diskussionen um den Schulbeginn an der Sekundarschule verfolgen wir auch deshalb aufmerksam, weil die KUE über die gemeinsame Nutzung der Sporthallen mit der Volksschule verkoppelt ist. Die Taktungen der Lektionen müssen zusammenpassen. Ein durchgängiger Beginn um 07:45 Uhr, wie es angedacht ist, wäre für uns zwar in etwa der Hälfte der Fälle von Nachteil (da wir um 7.25 oder 8.15) beginnen. Andererseits könnten wir unsere Räume besser auslasten und es gäbe für alle einen etwas luftigeren Tagesstundenplan: mit Raum für Pausen, für Instrumentalunterricht, für Besprechungen aller Art. Deshalb sind wir offen für das Gespräch mit unseren Nachbarn.

Jürg Berthold

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