Genau zielen – anderes treffen

Du musst es ganz fest wollen, aber... Mehr dazu im Wochenbrief

Als ich vor mehr als 30 Jahren in der Schule zu arbeiten begann, sagte mir der Mentor, der mir damals zugewiesen worden war: «Du musst einfach den festen Willen haben, den Schülerinnen und Schülern Französisch und Deutsch beizubringen.»

Nie war die Rede davon, dass ich mich an den Lehrplan halten müsse. Nie war die Rede davon, dass ich rekursfest beurteilen müsse. Nie war die Rede davon, dass ich Merkblätter zu verschiedenen didaktischen Konzepten lesen müsse. Mein Mentor vermittelte mir lediglich eine Haltung: Es geht darum, dass die Schülerinnen und Schüler etwas lernen. Und er lebte mir vor, wie sich ein Lehrer aus seiner Sicht zu verhalten habe: «Sich nicht abgrenzen, sich verschwenden». So könne man in diesem Beruf gut alt werden, sagte er.

Ein anderer Lehrerkollege formulierte die gleiche Grundhaltung anders: «Betrachte dich nicht als Batterie, die sich durch das Arbeiten entlädt, sondern als Velodynamo: Licht durch Treten.»

Diese erfahrenen Kollegen haben mir geholfen, Vertrauen in meine Arbeit als Lehrer aufzubauen. Wenn ich mich mit den Schülerinnen und Schülern auf einen Weg begebe und Dinge bespreche, für die ich als Fachperson kompetent bin und von denen ich annehme, dass sie das Potenzial haben, Interesse auszulösen, dann wird bei den Jugendlichen automatisch etwas passieren, was auch für mich bereichernd sein wird. Ich muss es einfach ganz fest wollen.

Was mir mein Mentor erst einige Jahre später sagte: Du darfst aber auch nicht ausser Acht lassen, dass du nie sicher sein kannst, was du erreichst, ganz im Sinne des berühmten Heine-Zitats: «Aber der Pfeil gehört nicht mehr dem Schützen, sobald er von der Sehne des Bogens fortfliegt, und das Wort gehört nicht mehr dem Sprecher, sobald es seiner Lippe entsprungen.»

Beim Unterrichten ist es ähnlich: Was die Schülerinnen und Schüler aus unseren Lektionen und didaktischen Arrangements machen, steht nicht vollständig in unserer Macht.

Darauf muss man sich einlassen, wenn man unterrichten will. Zwar ist der feste Wille, den Schülerinnen und Schülern etwas beizubringen, Voraussetzung – zum Beispiel Französisch. Ob aber alle den Subjonctif immer an der richtigen Stelle setzen, ist eine andere Frage. Vielleicht ergibt sich dafür während der Besprechung des Subjonctifs bei einem Schüler oder einer Schülerin eine andere Einsicht: eine Einsicht in das Wesen der Sprache – eine Einsicht in das Spiel mit Bedeutungsschattierungen, eine Einsicht in die Verschiedenheit der Sprachen. Damit wäre ein Ziel erreicht, das für alle Schulfächer wichtig ist. In allen Disziplinen gibt es nämlich Texte, in denen Spiele mit Wort-Bedeutungen entstehen. Selbst wenn man so eindeutig wie möglich zu formulieren versucht, immer wird es Wörter geben, deren Sinn schillernd ist, die verschiedene Auslegungen zulassen.

Martin Zimmermann

Wochenbrief_2127