FOMO

FOMO hat in den letzten Tagen eine ganz neue Bedeutung bekommen. Warum das so ist, lesen Sie im aktuellen Wochenbrief.

Bis vor einigen Tagen ging es für viele von uns darum, ja nichts zu verpassen. Dieses Abendessen, jenen Film, dieses Training, jene Party. Und da waren noch die vielen Freunde und Kollegen, die immer gerade da waren, wo man selber nicht sein konnte. Die vielleicht in jenem Chat aktiv waren, zu dem man nicht gehörte. Was das für ein Stress sein kann, wussten nicht nur Jugendliche zu berichten, diese aber ganz besonders. Aber in unserer "Multioptionsgesellschaft" ist FOMO nicht das Versagen des Einzelnen: Das Gefühl, dass das Leben gerade dort stattfindet, wo wir nicht sind, ist der Preis, den wir für unsere Freiheiten und unseren Wohlstand bezahlen. Im Wikipedia-Eintrag zu Fomo heisst es: «Die Fear of missing out (…) ist eine Form der gesellschaftlichen Beklemmung/Angst/Besorgnis. Das Phänomen beschreibt die zwanghafte Sorge, eine soziale Interaktion, eine ungewöhnliche Erfahrung oder ein anderes befriedigendes Ereignis zu verpassen und nicht mehr auf dem Laufenden zu bleiben. Dieses Gefühl geht besonders mit modernen Technologien wie Mobiltelefonen und Sozialen Netzwerken einher bzw. wird von diesen verstärkt.» Bis vor einigen Tagen war der Blick auf die Technologien und die sozialen Netzwerke durch diese Optik bestimmt.

Corona hat das Leben in den letzten Wochen in allen Bereich sehr stark verändert, auch in diesem Punkt. Die Angst, etwas zu verpassen, bedeutet jetzt: Wir müssen damit zurechtkommen, dass das, was man Angst gehabt hätte zu verpassen, im Moment gar nicht mehr stattfindet. Auch die anderen sind nicht dort, wo ich sein möchte. Gleichzeitig sind die Technologien das, was sie immer auch schon waren: eine grossartige Möglichkeit, sich auf Distanz auszutauschen, zusammenzuarbeiten und sich zu organisieren. Anteil zu nehmen am Schicksal jener, die weit weg sind. Nähe und Distanz treten in ein neuartiges Verhältnis, wie ein Freund mir neulich schrieb.

Auch an der KUE haben wir während der letzten Woche schnell viel lernen und andere Formen des Austauschs finden müssen, nicht nur innerhalb unseres Teams, sondern vor allem auch mit den Klassen und mit einzelnen Schülerinnen und Schülern. Da waren wir froh, schon seit der KUE-Gründung mit «Microsoft-Teams» über eine mächtige Plattform für Kommunikation und Kollaboration zu verfügen und im Alltag damit sehr vertraut zu sein. Nicht umsonst haben die Universität Zürich und viel andere Mittelschulen in der letzten Woche auch auf «Teams» umgestellt.

Am Montagnachmittag haben alle Angestellten der KUE, ob von zu Hause aus oder aus den Schulräumen, in einer grossen Videokonferenz beraten, wie die kommenden Wochen gut genutzt werden können: für kleinere Aufträge und grössere Projekte, für punktuelle Instruktionen oder Gruppendiskussionen am Bildschirm, für handfesten Lernstoff und kreative Spielräume. Mit dem KUE-Dienstag, dem sog. POOL-Tag, war auch schon das Gefäss vorhanden, den Stundenplan punktuell aufzuheben. Dass diese Aufhebung des Präsenzstundenplans in dieser Radikalität kommen würde, hat niemand vorhersehen können. Umso mehr sind jetzt alle gefordert: Die Lehrpersonen, die sinnvolle und spannende Aufgaben konzipieren müssen, die Schüler, die sich nach anfänglichem Jubel mit sich selbst zurechtfinden müssen, und nicht zuletzt auch die Eltern: Ihre Angst um die Jugendlichen haben wir in den letzten Tagen in zahlreichen Emails  auch gespürt. Umso mehr freuen wir uns über das Vertrauen, das sie uns gleichzeitig entgegenbringen.

Jürg Berthold

Wochenbrief 20_13