In den vergangenen Monaten hatte ich viele und unterschiedlichste Begegnungen mit Menschen jeden Alters. Und immer wieder – egal, wie kurz das Gespräch war – kam der Satz auf «Ich habe Angst, Fehler zu machen». Das hat mich beschäftigt. Vor allem auch deswegen, da gegenwärtig so ziemlich überall – auch in Mittelschulen – von «lernenden Organisationen» oder von einer «gelebten Fehlerkultur» gesprochen wird. De facto, aber Fehler so hart sanktioniert werden, wie eh und je. Und diese Schlagworte offenbar zu leeren Worthülsen verkommen.
Gleichzeitig müssten wir gerade jetzt uns aufs Fehlermachen einlassen können: Wir als Gesellschaft wissen, dass die Welt brennt und wir Lösungen für Probleme brauchen, die wir noch nicht kennen, geschweige denn haben. Dieser Umstand ist überfordernd an allen Ecken und Enden. Und je mehr Angst Menschen davor haben, Fehler zu machen, desto mehr Fehler werden sie machen, und umso weniger werden sie aus den jeweiligen Fehlern lernen können.
Seit sechs Monaten bin ich nun Mitglied der Schulkommission der Kantonsschule Uetikon am See und obwohl ich hier eine Schule und eine Schulleitung mit zukunftsgerichtetem Vorbildcharakter erlebe, hat es mich dennoch oder gerade deswegen dazu bewegt diesen Wochenbrief dem Fehlermachen zu widmen. In der Schule scheint es simpel zu sein: Machst du alles richtig, kommst du weiter. Machst du zu viele Fehler, bleibst du sitzen. Was für eine in sich problematische Grundlage.
Samuel Becketts Mantra scheinen mir in diesem Kontext besonders passend zu sein: «Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better. ». Dieses Zitat scheint insbesondere in der heutigen westlichen Gesellschaft, die ständige Optimierung und Korrektheit anstrebt, nichts an Relevanz verloren zu haben.
Sich die Welt zu erschliessen, geht nur mit Neugierde. Und sobald eine Person, sich neugierig auf einen unbekannten Weg begibt, tritt sie auf ein für sie unsicheres Terrain und Fehler sind vorprogrammiert. Besonders die Schule sollte ein Ort sein, wo Fehler machen nicht nur erlaubt, sondern erwünscht ist. Sehnen wir uns nicht alle nach neugierigen und selbstbewussten Kindern und Jugendlichen, die sich einen eigenständigen Zugang zur Welt schaffen?
Unser Job als Schulkommission, Schulleitung und als Lehrpersonen ist es, die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Schüler:innen mit Freude Fehler machen und daraus lernen können. Schliesslich werden sie Lösungen für Probleme finden müssen, die wir als Erwachsene einerseits verursacht haben und andererseits unfähig scheinen, daraus zu lernen und sie selbst zu beheben.
In diesem Sinne zum Schluss eine kleine Übung zum Umgang mit Fehlernmachen: Nimm dir einmal pro Woche 30 Minuten Zeit. Als erstes suchst du einen Fehler, den du glaubst begangen zu haben. Notiere ihn kurz auf ein Blatt Papier. Danach überlegst du dir, wie es dazu kam, welche Umstände dazu geführt haben und welche Faktoren mitgespielt haben. Diese malst du wie in einem Mind-Map um den Fehler herum. Dann überlegst du dir, was du aus dieser Situation lernen könntest, und schreibst es in Form eines Titels oberhalb des bisherigen Notierten. – Und im vierten und letzten Schritt feierst du dich selbst. Denn es gibt fast nichts Befreienderes und Stärkenderes als Fehler zu machen, sie zu reflektieren und daraus zu lernen. Klopf dir auf die Schulter, mache einen Freudentanz oder was auch immer dir guttut. Denn du hast was zu feiern und stolz auf dich zu sein. Deine Lernkurve ist definitiv ansteigend. Was wünschst du dir mehr?
Miriam Walther
Mitglied der KUE-Schulkommission
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