In den letzten Wochen haben wir im Kollegium Buchtitel gesammelt. Nicht irgendwelche, sondern von didaktisch-pädagogischen Büchern, die unsere Lehrpersonen für das eigene Unterrichten hilfreich finden, und von Büchern, die mit grossen Themen wie Bildung oder Digitalisierung zu tun haben. Unser kleines, aber feines Kollegium hat eine kleine, aber feine Bibliothek zusammengestellt, die bald im Lehrerzimmer stehen wird. Dass darunter auch der in den letzten zehn Jahren zum Klassiker gewordene "Hattie" zu finden ist, ist wenig erstaunlich.
John Hattie, Professor für Erziehungswissenschaften in Melbourne, hat in seinem 2009 zuerst auf Englisch erschienenen Buch "Visible Learnings for Teachers" zusammengestellt, welche Faktoren für guten Unterricht empirisch messbar relevant sind. Dass er die Ergebnisse in tachometerähnlichen Diagrammen dargestellt hat, hat bestimmt zum Erfolg seines Werkes beigetragen. Manchen Praktiken gegenüber, wie etwa den Hausaufgaben, wie die Darstellung auf der Homepage zeigt, müssten die Lehrpersonen nach der Lektüre eigentlich kritisch eingestellt sein, resp. sehr genau überlegen, in welcher Form sie wirkungsvoll sind. Oder alle, die immer schon die Erfahrung gemacht hatten, dass es wesentlich auf die Qualität der Schüler-Lehrer-Beziehung ankommt, können sich auf die von Hattie zusammengetragenen Studien beziehen: Es ist tatsächlich so, dass eine gute Beziehung sehr eng korreliert mit dem Lernfortschritt und damit dem Schulerfolg. Der wichtigste Faktor ist aber die sog. "Selbstwirksamkeitsüberzeugung": Schülerinnen und Schüler, die zuversichtlich sind, dass sie etwas lernen können, lernen auch tatsächlich besser. Das mag trivial klingen, wirft aber die entscheidende Frage auf, was wir als Lehrpersonen in der Hand haben, um diese Selbstwirksamkeitsüberzeugung zu fördern. Und diese ist alles andere als trivial.
In dem mehrere hundert Seiten starken Buch finden sich ganz konkrete Befunde, etwa zum "Beginn der Unterrichtsstunde" (Kap. 5). Diese Beobachtungen, die auf guten Unterricht hinweisen können, sollen hier zur Anregung einfach zitiert werden. Hier eine kleine Auswahl:
- Die Klassen werden mehr von Fragen der Schülerinnen und Schüler als von Fragen der Lehrperson dominiert.
- Es gibt eine Balance zwischen dem Reden, Zuhören und Handeln der Lehrperson und es gibt eine ähnliche Balance zwischen dem Reden, Zuhören und Handeln der Schülerinnen und Schüler.
- Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler nutzen die Macht von Peers* auf positive Weise, um das Lernen zu fördern.
- Das Ziel der Schule ist es, allen Schülerinnen und Schülern dabei zu helfen, ihr Potential zu übertreffen.
- Schülerinnen und Schüler haben selbst hohe Erwartungen in Bezug auf ihr aktuelles Lernen.
- Lehrpersonen wählen Unterrichtsmethoden als letzten Schritt im Prozess der Unterrichtsplanung.
Es versteht sich von selbst, dass es Zeit und Gedankenarbeit braucht, den eigenen Unterricht im Lichte dieser Erkenntnisse zu überdenken. Vielleicht wurde deshalb auch ein schmales Büchlein für die Sammlung genannt: "Hattie für gestresste Lehrer" von Klaus Zierer – eine Kurzfassung des eigentlichen Werkes, Astronautennahrung für unsere gemeinsame Reise.
Jürg Berthold, Prorektor
2019_WB39
*«Peers» sind Gleichaltrige, also der Klassenkolleginnen und -kollegen. Übrigens auch ein schönes Beispiel für ein Übersetzungsproblem: Das englische Wort «Power» hier mit Macht zu übersetzen, ist irreführend. Das geht um den positiven Einfluss, den Peers haben können.