Der Goldene Schnitt

Es muss nicht immer alles im Goldenen Schnitt sein. Aber dennoch spielen ästhetische Fragen eine grosse Rolle. Wie wir damit umgehen wollen, lesen Sie im aktuellen Wochenbrief.

„Es gibt eine Erziehung zur Gesundheit, eine Erziehung zur Einsicht, eine Erziehung zur Sittlichkeit, eine Erziehung zum Geschmack und zur Schönheit.“ Dieser Satz von Friedrich Schiller könnte mit einigen sprachlichen Anpassungen auch auf unserer Webseite zu finden sein. Er stammt aus dem 21. seiner „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“ aus dem Jahre 1795. Wiederbegegnet bin ich ihm, als ich letzte Woche Experte bei den mündlichen Philosophiematuren an der Kantonsschule Baden war.

Die Prüfungen laufen so ab, dass aus einer Reihe von vorbereiteten längeren Texten einer ins Zentrum gestellt wird. Ein Ausschnitt wird interpretiert und diskutiert, und es  werden Fäden zu anderen Texten gespannt. Beeindruckt hat mich, wie die Gespräche unter den zurückhaltend, aber gezielt gestellten Fragen des Philosophielehrers zu kleinen Sokratischen Dialoge wurden. Die Schülerinnen und Schüler wurden, ausgehend von ihren Überlegungen, in ein eigenes Nachdenken verwickelt. Alles andere als ein Abfragen von Wissen, philosophy at its best! Dabei wurde nicht nur sichtbar, wie weit ihre Textkenntnis und das Verständnis reichte, sondern auch wie tiefgehend sie die Zusammenhänge wirklich begriffen und wie präzis sie formulieren können. Im besten Fall zeigte sich in dem, was in 15 Minuten möglich ist, eine Verbindung von Schillers „Erziehung zur Einsicht“ und „Erziehung zur Schönheit“.

Die diesjährige Sommerthemenwoche hat einen Schwerpunkt, den man mit Schillers Worten „ästhetische Bildung“ nennen könnte. Es soll in den angebotenen Workshops für die ersten Klassen jeweils aus einem Fachblickwinkel darum gehen, die Sinne und den Sinn für Ästhetisches zu schulen. Da kann es ebenso um die Eleganz eines mathematischen Beweises wie um die Frage gehen, welche Sprachen und Dialekte wir aus welchen Gründen schön finden oder welche Rolle Schönheit in der Natur spielt, etwa der Gesang der Vögel, über den Charles Darwin in seiner Evolutionslehre explizit unter diesem Gesichtspunkt spricht.

Schade, dass die Musischen Fächer, die die ästhetische Bildung im engeren Sinne pflegen, in den KUE-Stundentafeln am Minimum der Vorgaben orientiert sind! Mit Akzenten wie dieser Themenwoche wollen wir etwas einen Ausgleich schaffen. Auf das Programm dürfen die Schülerinnen und Schüler gespannt sein!

Übrigens: Das Fach Philosophie bekommt ab 2022 im Kantons Zürich eine stärkere Stellung. Es wird wie bis anhin als Ergänzungsfach wählbar sein, aber neu auch im Rahmen des eigenen Schwerpunktfaches PPP – „Philosophie, Psychologie, Pädagogik“. Die jetzigen KUE-Schülerinnen und -Schüler werden das Schwerpunkt nicht mehr wählen können, aber sich im Rahmen des Ergänzungsfaches vielleicht für Philosophie entscheiden. Nicht nur Schiller würde es freuen.

Jürg Berthold, Prorektor

 

Wochenbrief 1925