Im Rahmen meines Zivildienstes habe ich vor einigen Jahren alle Bewohnerinnen und Bewohner eines Altersheims nach Erinnerungen an ihre Schulzeit befragt. Die Geschichte einer fast 100-jährigen Dame ist mir noch besonders in Erinnerung: Der Musiklehrer sei immer sehr gepflegt gewesen, stets in Anzug und Kravatte, und mit einem Boschettli, einem sorgfältig assortierten Taschentuch in der Brusttasche des Anzugs. Sie, die Schüler hingegen, seien ganz einfach, oft schmuddelig gekleidet gewesen, ärmlich halt. Eine Schülerin, die von niemandem gemocht wurde, hätte eines Tages unheimlich niesen müssen, und zwar so heftig, dass ihr der Schnodder an beiden Händen klebte. „Während die ganze Klasse laut lachte“, so die alte Dame, „ist der Musiklehrer zu ihr hingegangen und hat ihr wortlos sein Seidentuch gereicht. Damit sie sich die Hände sauber machen konnte. Ich fand diese Geste so würdevoll und habe mich etwas geschämt, denn auch ich hatte gelacht.“ Von da an sei die Schülerin keine Aussenseiterin mehr gewesen. – Diese kleine Geschichte um eine kleine Geste ist mir in den Sinn gekommen, als wir uns am vergangenen Weiterbildungsdienstag mit Fragen von Grundhaltungen auseinandergesetzt haben. Was braucht es, dass sich alle wohl fühlen? Dass das „Gramm Gold, das in jedem steckt“, wie es in einem vorgängig gelesenen Text hiess, zum Vorschein kommt? Dass Lernen nicht nur Vermittlung von Wissen im Hinblick auf Studierfähigkeit heisst, sondern auch Persönlichkeitsbildung? Als Team haben wir uns erste Gedanken gemacht, wie das ganz konkret an der KUE aussehen könnte und was die Haltungen dahinter sind.
Auch darüber, wie Gefässe und Räume, die fürs Lernen zur Verfügung stehen, das Unterrichten beeinflussen, haben wir gesprochen. Auch da gibt es viel zu bedenken, nicht nur zu POOL-Tag und Themenwochen. Nach den Sommerferien sollen im noch freien obersten Stockwerk von Haus B ganz unterschiedlich gestaltete Schulzimmer zur Verfügung stehen, für unterschiedliche Formen des Lernens und Arbeitens. Ein Theaterzimmer und ein Prüfungszimmer gibt es schon. Neu sollen Zimmer hinzukommen, die auch nicht wie Schulzimmer aussehen. Freier nutzbar sollen sie sein – etwa für Diskussionen, Gruppenarbeiten, Projekte. Jedes dieser Zimmer wird ein eigenes Profil haben, und wir wollen schauen, wie sie tatsächlich genutzt werden. Im Hinblick auf den Umzug an den See wollen wir möglichst heute herausfinden, was es heisst, morgen ein Schulhaus für übermorgen zu bauen.
Den elf neuen Lehrpersonen, die wir am Morgen empfangen haben, gaben wir als Schulleitung unter anderem drei Botschaften mit, die sie beim Unterrichten leiten sollen: Man darf Dinge ausprobieren. Noten sind nicht Zweck des Unterrichts. Und: Die SchülerInnen stehen im Zentrum. Wir freuen uns, dass sie neu zu uns gehören, und wünschen ihnen allen einen guten Start nach den Sommerferien.
Jürg Berthold, Prorektor
PS Das Bild des Kranichs auf der Homepage verweist nicht auf Michael Scofield aus der Serie Prison Break, sondern auf eine Origami-Lektion, die wir alle von unserer Biologie- und Chemielaborantin, einer ausgebildeten Origami-Lehrerin, zu Beginn des Tages bekommen haben. Wohl für alle ein kleiner Lernschritt auf Neuland und ein Beispiel für Konzentration und Fokussierung!
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