Chancengerechtigkeit und Schule

Das Schweizer Bildungssystem sei ungerecht, sagt eine neue Studie von Rolf Becker und Jürg Schoch. Was kann ein Gymnasium in dieser Situation tun und was nicht? Mehr dazu im Wochenbrief.

Wenn die Tage langsam wieder länger werden und die Sportferien näher rücken, geht es regelmässig neu los: Die «Gymi-Aufnahmeprüfung» wird zum Thema in den Medien.

Man versteht die Aufregung der Eltern, weil es um eine wichtige Weichenstellung geht. Man versteht auch die Fragen, die jeweils in diesem Moment aufkommen. Haben wirklich alle Kinder die gleichen Chancen, ihrem Können und ihrem Einsatz gemäss schulisch gefördert zu werden?

Wir versuchen, an der Aufnahmeprüfung möglichst genau hinzuschauen und diejenigen Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, welche das Potenzial haben, eine Matura abzulegen und dann ein Studium zu absolvieren. Das Institut für Bildungsevaluation (UZH) hat im Jahr 2017 in einem Bericht festgestellt, dass die an der Prüfung erzielten Noten denn auch ein guter Indikator für das Bestehen der Probezeit am Gymi sind. Dies bedeutet, dass die gestellten Anforderungen kohärent sind. Was an der Prüfung getestet wird, ist auch in der Probezeit relevant.

Damit ist die Frage nach der Chancengerechtigkeit aber natürlich nicht beantwortet. Die NZZ berichtete am 28.12.18 wie folgt: «Kinder von Akademikern besuchten doppelt so oft ein Gymnasium wie Kinder von Eltern mit mittlerem und niedrigem Bildungsniveau. (…) Zudem lasse sich belegen, dass soziale Unterschiede bereits in der frühen Kindheit Auswirkungen auf die Bildungschancen hätten und die Unterschiede danach von Bildungsstufe zu Bildungsstufe grösser würden.»

Wir können als Gymnasium zwar begabte Kinder fördern, aber wir können nicht die Jahre vor dem Eintritt ins Gymi kompensieren. Damit würde man unserer Schule eine Aufgabe geben, die sie nicht bewältigen kann.

Ich weise aber sehr gerne auf ein Projekt hin, das an einer Kantonsschule initiiert worden ist: Chance Wiedikon. Auf der Website des Vereins ist das Ziel wie folgt beschrieben:

«Der Verein Chance Kantonsschule Wiedikon fördert die Chancengleichheit von Kindern aus sozial benachteiligten Familien beim Übertritt von der Volksschule an die Kantonsschule Wiedikon und im Verlauf der gymnasialen Schullaufbahn.» In Förderkursen werden begabte und motivierte PrimarschülerInnen aus Familien mit niedrigem Einkommen auf die Aufnahmeprüfung und die Probezeit vorbereitet.

Das ist ein beeindruckendes privates Projekt, in dem sich viele Personen engagieren, welche selber eine Kantonsschule (z.B. in Wiedikon) haben besuchen dürfen. Diese Leute setzen sich dafür ein, dass das Bestehen der Aufnahmeprüfung nicht einfach von der sozialen Herkunft abhängt.

Wer «Chance Wiedikon» unterstützen möchte, kann dies mit einer Mitgliedschaft tun. Weitere Informationen finden Sie unter http://chancekwi.ch/mitglied-werden/ .

Martin Zimmermann

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