Vielleicht lässt sich der Brauch der Neujahrsvorsätze tatsächlich bis auf die Babylonier zurückverfolgen, wie eine schnelle Internetrecherche nahelegt. Sicher ist: Der Brauch ist uralt, kommt in ganz unterschiedlichen Kulturen vor, und für viele hat er auch bei uns eine Bedeutung. Ein schönes Sinnbild ist der römische Gott Janus. Mit seinen beiden Gesichtern blickt er gleichzeitig zurück und in die Zukunft. Auch unser Januar-Gott legt uns also nahe, es im neuen Jahr besser zu machen.
Vorsätze kann man sich selbstverständlich das ganze Jahr über machen. Aber symbolische Schwellenmomente erleichtern es einem, innezuhalten, zurück und nach vorne zu schauen, sich einen Ruck zu geben. Im Schulkontext ist der Übergang zum neuen Semester jeweils im Februar und im August diesbezüglich allerdings wichtiger als Neujahr. Da nehmen sich die Schüler:innen allerlei vor: die Zeit besser einzuteilen, nicht nur auf die Prüfungen zu lernen, im Unterricht aktiver mitzumachen. Und auch wir Lehrpersonen sind bemüht, uns zu verbessern, etwa ein bisher vernachlässigtes Gebiet vertiefter zu verstehen, eine schwierige Klasse genauer zu erfassen, die einzelnen Schüler:innen individualisierter zu fördern.
Wer sich etwas vornimmt – ob zum Jahreswechsel oder zum Semesteranfang –, geht von der Veränderbarkeit des Menschen aus. Dabei ist der Mensch kein Abstraktum. Vorsätze macht man für einen selbst, sie setzen beim Individuum an. Vorsätze sagen etwas darüber aus, wer wir sein und wie wir leben möchten. Sie haben im Kern mit unserer Identität zu tun. Da wir die Erfahrung gemacht haben, wie schwierig es ist, sie umzusetzen, machen wir einen Vorsatz in der Regel mit uns allein aus: Wer wir sein werden, wird sich zeigen, wenn wir es geschafft haben, ihn in die Tat umzusetzen.
Zum Vorsatz gehört immer auch das Scheitern. «Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden», heisst ein bekanntes Zitat von Immanuel Kant. Dessen Pointe versteht nur, wer es richtig betont: etwas Gerades schon, aber «nichts ganz Gerades». Vorsätze haben, um im Bild zu bleiben, mit der Zimmermannsarbeit zu tun, mit dem Hobeln und Feilen, mit dem Augenmass für die richtigen Proportionen. Zum Scheitern gehört das Weitermachen – Samuel Becketts berühmtes «Try again. Fail again. Fail better.»
Vorsätze, so verstanden, machen explizit, worum es in der Schule eigentlich immer geht. Man versucht, besser zu werden, etwas zu lernen, die Dinge anders anzugehen. Man gestaltet die Zukunft – die eigene und die gemeinsame. Das trifft auf die Lehrpersonen und die Schule als Ganze ebenso zu wie auf die Lernenden. Lehrpersonen, die nicht an die Veränderbarkeit und Verbesserungsfähigkeit der Menschen glauben, sollten an Schulen nichts verloren haben. In den Anfängen meiner Tätigkeit als Lehrer bin ich bisweilen älteren Lehrpersonen begegnet, denen dieser Glaube offensichtlich abhandengekommen war. Ich hatte mir damals geschworen, der Schule den Rücken zu kehren, sollte auch ich einmal in diesen Zustand der Hoffnungslosigkeit verfallen. Wo bei Schüler:innen der Glaube an die Veränderbarkeit nur schwach vorhanden ist, braucht es uns, unsere Ermutigung und unseren Zuspruch – auf dass sie wieder mit Zuversicht Vorsätze machen, für kleinere Schritte und grössere Projekte, und an deren Realisierbarkeit glauben.
Ich wünsche allen ein gutes 2025 und viel Schwung und einen langen Atmen für das kurze Quartal bis zu den Sportferien! Und allen den Mut zu Vorsätzen, realistischen und utopischen, und die Kraft, trotz des Scheiterns nicht zu verzagen.
Jürg Berthold
WB_02_2025