Beim Bau von Wolkenkratzern wird bei der Fixierung der riesigen Stahlstützen in den Fundamenten peinlichst genau auf die Vermeidung kleinster Abweichungen geachtet. Die Fehlertoleranz soll im Bereich von Millimetern liegen; die Effekte einer auch nur minimalen Differenz wären mit zunehmend wachsender Höhe fatal. Als ich das in den Ferien las, kam mir nicht nur der Stoff einer Mathematiklektion in den Sinn, die ich kurz vor Weihnachten noch in einer dritten Klasse besucht hatte. Ich dachte, im ersten Moment mit einer Mischung aus Schauer und Respekt, auch an den Aufbau der KUE, der sich über einen sehr langen Zeitraum hinziehen wird: Welche Auswirkungen haben Entscheidungen, die wir jetzt treffen? Was passiert damit in zehn, fünfzehn Jahren, wenn die Schule bald die definitive Grösse erreicht haben wird und dann fast siebenmal so gross ist wie heute?
Blicke in die Zukunft sind schwierig, davon handelte der letzte Wochenbrief. Die Analogie ist allerdings auch sonst problematisch: Eine Schule ist kein starrer Körper, der den Gesetzen von Geometrie und Mechanik gehorcht. Sie ist eher ein Organismus, ein Lebewesen, dessen Wachstumskurve nicht linear ist, und es sind Menschen, die der Schule die Form geben – die Personen, die hier arbeiten, und alle Schülerinnen und Schüler. Sie gestalten das Biotop, in dem sie zusammenleben, und beeinflussen das Mikroklima, in dem sie atmen – und was der Bilder mehr sind, um jene weichen Faktoren zu benennen, auf die es ankommt.
«Culture eats strategy for breakfast!“ heisst ein vielzitiertes Bonmot von Peter Drucker (1909-2002), einem US-amerikanischem Ökonomen und Pionier der Managementlehre. Gemeint ist, dass man sich in einer Organisation viel vornehmen und die eigenen Pläne in die Zukunft projizieren kann; wenn die entsprechende Kultur nicht da ist, ist die Sache schnell erledigt, gewissermassen schon nach dem Frühstück, der Tag hat kaum begonnen. In diesem Sinne müssen wir weniger auf die Millimeterarbeit beim Setzen unserer Stützen und Pfeiler achten als vielmehr auf alles, was das Lehren, Lernen und das Zusammenleben an einer Schule wie der KUE ausmacht.
Am Dienstag dieser Woche findet wieder ein KUE-Tag für alle statt. An dieser Weiter- und Teamsbildungsveranstaltung für alle, die an der KUE arbeiten, wird es um solche Fragen der Schul- und Lernkultur gehen. Einerseits stellen Lehrpersonen vor, wie sie die besonderen Räume, die wir im Haus B eingerichtet haben, im Unterricht konkret nutzen. Andererseits stehen Fragen rund um didaktische Konzepte im Zusammenhang mit der Digitalisierung im Zentrum. Dazu haben wir unter anderem die beiden Autoren des eben erschienenen Buches „Neue Medien – neuer Unterricht?» eingeladen, damit sie mit uns über ihre Ansätze diskutieren. Dass die Auseinandersetzung damit mehr sein muss als eine Erweiterung des didaktischen Repertoires und der zum Einsatz kommenden Tools, das macht der Ausdruck «Lernkultur» deutlich. Wir hoffen, dass wir beim Arbeiten an den entsprechenden Grundhaltungen am Dienstag einen Schritt weiterkommen und die Stützen und Träger richtig setzen.
Jürg Berthold
PS Und noch eine Aufgabe für all jene, die die Mittelschulmathematik noch nicht vergessen oder sie gerade im Unterricht gehabt haben: Wenn der Fehler bei einer Stütze von 10 Metern Länge ein Zentimeter beträgt, wie gross ist der Effekt dieser Anfangsdifferenz bei einer Gebäudehöhe von 500 Metern?
Wochenbrief 20_3