An Schulhaus, Lehrerschaft und natürlich an Schülerinnen und Schüler, daran denkt man, wenn man sich eine neue Schule vorstellt. Die Professionelleren unter jenen, die wissen wollen, wie es so läuft mit dem Aufbau, fragen nach Profilen, Stundendotationen, Lehrplan. Vielleicht nach Leitbild und innovativen Unterrichtsgefässen. Zu unseren Erfahrungen des letzten halben Jahres gehört aber auch eine Unmenge von Details, Fragen nach Türknäufen und Liftschlössern zum Beispiel. Nur auf den ersten Blick haben solche Dinge des praktischen Alltags einen rein technischen Bezug zur Schule. Nicht nur der Teufel steckt im Kleinkram, auch das grosse Ganze.
Ist es nötig, alle Lehrerarbeitsräume mit Türknäufen zu versehen, damit sie immer abgeschlossen sind? Was, wenn der Zugang zu den Liften immer offen ist und nicht mit einem Schlüssel geregelt ist? Antworten auf solche Fragen gehen von Bildern aus, wie sich Schülerinnen und Schüler verhalten. Sie beinhalten Vorhersagen, wie sich die Dinge entwickeln. Die einen mögen das optimistischer sehen, die anderen eher pessimistisch und auf Nummer sicher gehen wollen. Es gibt vielleicht sogar gute Gründe, vom schlimmstmöglichen Fall auszugehen: dass aus den Lehrerarbeitsräumen Dinge entwendet werden, dass auch jene den Lift benützen, die das nicht sollten. Aber bewirken solche Annahmen nicht oft gerade das, was sie verhindern wollen? Sind sie nicht mehr als Vorhersagen? Zeichen für bestimmte Haltungen? Und haben sie nicht die seltsame Kraft zu erzeugen, was sie verhindern sollen?
Unsere Entscheidung gegen die Türknäufe und für offene Liftttüren ist Ausdruck eines bestimmten Blicks auf die Schule als Ganze. Unsere Antworten auf solche und ähnliche Fragen sagen nämlich auch etwas darüber aus, wie wir das Zusammenleben hier gestalten wollen und wie man sich im Raum der Schule begegnen soll. Normative Überlegungen wie diese weisen über die Alternative von Optimismus und Pessimismus hinaus. Ihre Gültigkeit beziehen sie direkt aus allgemeineren Überzeugungen darüber, welche Normen und Grundhaltungen die Schulkultur und das Zusammenleben im Schulhaus bestimmen sollen – auch und gerade dann, wenn man weiss, wie knorrig das Holz ist, aus dem wir Menschen geschnitzt sind. Wir gehen davon aus, dass sich eine Vertrauenskultur dort etablieren kann, wo man Vertrauen schenkt. Und Vertrauen ist eine der wichtigsten Ressourcen für erfolgreiches Lernen.
In den zwei Beispielen geht es um das Respektieren von Grenzen, um Sorgfalt im Umgang mit Schulmaterial, das den Unterricht für alle erleichtert, und um Regeln des Zusammenlebens. Unsere Entscheidung gegen die Türknäufe und für offene Lifttüren nimmt die Schülerinnen und Schüler ernst: Vom ersten Tag an sollen sie mitgestalten, wie wir im Schulhaus zusammenleben wollen. Sie sollen möglichst frei sein und sich einbringen können. Sie sollen aber auch die Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen. Wie im richtigen Leben.
Und was, wenn die Normen nicht akzeptiert werden, wenn das Vertrauen missbraucht wird? Was, wenn der Zyniker sagen kann: „Luftschlösser, ich hab‘s ja gleich gesagt, …“? Dann braucht es Diskussionen, Gespräche, klare Worte. Allenfalls Konsequenzen. Punkt. Wie sonst im Leben auch. Dies wird aber, davon sind wir überzeugt, die Ausnahme bleiben.
Jürg Berthold, Prorektor