«Das beste Publikum geniesst Kunst mit Kinderaugen»
Wer eine normale Lesung erwartet hatte, wurde am Dienstagnachmittag an der KUE überrascht, denn Dana Grigorcea begann sofort und amüsiert mit beiden Klassen zu diskutieren. Keine Sekunde las die rumänisch-schweizerische Autorin aus ihren Werken, dafür fragte sie strahlend das Publikum aus und erzählte Anekdoten, Pointen und Spekulationen über Kunst und Kultur. Organisiert hatte den vergnüglichen Anlass die Bibliothek Uetikon und die Fachschaft Deutsch.
«Was liest du so?», fragte sie spontan einen Schüler. Antwort: «Spannende Bücher, keine Liebesromane». Ein anderer meinte: «Ich lese nicht so viel. Wenn, dann Thriller.» Ob die Lektüren ihre Leben verändert hätten, wollte Grigorcea wissen (wahrscheinlich nicht) und erläuterte, dass gute Literatur eigentlich nicht «gespoilert» werden könne, denn man entdecke bei jeder Lektüre immer etwas Neues, wie die Kinder, «und das beste Publikum geniesst Kunst mit Kinderaugen.»
Überhaupt die Kunst. Was sie ist und soll, das beschäftigt Grigorcea, auch in ihrem charmanten neuen Buch «Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen». «Kunst ist vor allem die Auseinandersetzung mit dem Material, sei es nun ein Marmorblock oder die Sprache. Und Kunst soll einen Aha-Moment beim Publikum auslösen», meinte sie auf die entsprechende Frage einer Schülerin.
Sie schien die Präsenz der beiden Klassen richtig zu geniessen, «ihr habt eine tolle Atmosphäre, so lustig und fröhlich.» Sie sehe alles im Publikum, die Bewegungen, die Personen, «ihr seid so schön anzuschauen», etwa die beiden Mädchen in den rosa Pullovern oder die leicht schwatzhaften Jungs dahinter.
Auf ihrer kulturellen Tour d'Horizon kam sie über Max Frisch zu Friedrich Dürrenmatt, über Kafka zu Murnau bis zur Kunst einer Marina Abramović. Sie erläuterte den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, tippte den eigenen Werdegang an, referierte über das Regietheater, zu dem sie ein ambivalentes Verhältnis habe, denn Regisseur:innen seien zwar frei, mit einem Werk zu machen, was sie wollten, wenn das Werk aber nur noch ein Vorwand sei, um etwas Eigenes zu machen, finde sie es schwierig.
Nach fast zwei Stunden war Grigorcea immer noch neugierig und strahlte ins Publikum, das langsam aber etwas müde wurde. Zum Glück fuhr zur Belustigung aller draussen gerade ein lauter Rasenmäher durch – ein klares Zeichen, dass diese besondere «Lesung» nun zu Ende war.